Beinschutz im Reitsport – Schutz oder Schaden? Vor- und Nachteile der Nutzung

Hanseklinik Stallgasse
Hanseklinik Stallgasse

Pferde sind wahre Spitzensportler, und gerade während der  Turniersaison werden von ihnen Höchstleistungen erwartet. Die Beanspruchung der  Gliedmaßen ist dabei besonders hoch, was das Risiko für Verletzungen wie Sehnenschäden  erhöht. Das Thema Beinschutz ist in der Reiterwelt ein umstrittenes Thema mit vielen  unterschiedlichen Meinungen. Dr. Jens Körner und Tierärztin Eva-Maria Kruse von der  Hanseklinik für Pferde klären über wichtige Aspekte auf, die aus medizinischer Sicht bei der Anwendung von Beinschutz beachtet werden sollten. 

Für einen effektiven Schutz muss eine Unterscheidung zwischen den Nutzungsarten von  Beinschutzequipment gemacht werden: 

Beinschutz im Sport 

Im Sport gilt es, das Pferdebein vor Streif- und Stoßverletzungen durch Eisenkanten, Stollen,  verbogene Aufzüge, Hindernisstangen und sonstige Gegenstände zu schützen. Allein das  stumpfe Anschlagen des Fesselkopfes einer Gliedmaße gegen das hochgradig gespannte  Sehnenpaket einer anderen Gliedmaße kann zu einem sofortigen Zerreißen von Sehnenfasern  führen, was durch eine flächige Druckverteilung durch eine Hartschale, zum Beispiel  Gamaschen, verhindert werden kann. Man sieht am häufigen Auftreten von innenseitigen  Überbeinen, wie oft sich gerade junge Pferde durch Ungeschicklichkeit an den Beinen selbst  treffen.  

Tierärztin Eva-Maria Kruse empfiehlt außerdem, auch die Hufe vor Verletzungen zu schützen.  Hufglocken schützen beispielsweise den Ballenbereich vor Tritten, was besonders bei  Springpferden sehr wichtig ist, wenn sie die Hinterhufe nach dem Sprung wieder aufsetzen.  Hufglocken sind ebenfalls sinnvoll, wenn ein Pferd dazu neigt, sich die Eisen abzutreten. Das  wiederholte Anbringen von Hufeisen schädigt das Hufhorn mit jedem Beschlag, weshalb ein  Hufschutz auf der Weide durchaus sinnvoll ist. 

Bandagen sind im Reitsport ein beliebter Beinschutz, weil ihnen eine Stützwirkung nachgesagt  wird. Diese kann jedoch nicht medizinisch bestätigt werden. „Die Kräfte sind zu hoch, als dass  eine Bandage eine stützende Wirkung, ähnlich wie ein mehrlagiger Robert-Jones-Verband  oder ein Castverband, entfalten könnte. Hier liegt ein weit Bandagen bieten einem Pferd beim Reiten nur eine geringe Schutzwirkung. Stützen können  sie nicht! Ihre Verwendung dient vielmehr dem Ausgleich der optischen Symmetrie in Bezug  auf unterschiedlich gezeichnete Beine, die bei einem Betrachter eine Taktunreinheit  suggerieren können. Außerdem betonen insbesondere weiße Bandagen optisch die  Beinaktion von beispielsweise Dressurpferden. 

Beinschutz in der Haltung 

Die Beine von Pferden sind unterhalb der Fußwurzelgelenke in Ruhe außerordentlich schlecht  durchblutet. Im Winter verringert sich die Durchblutung zusätzlich durch Kälte vermittelte  Gefäßkontraktion, und es entsteht eine Art „Wärmetauschermechanismus“ in den  Gliedmaßen. Das warme Blut aus dem Körper fließt in die kalten Gliedmaßen und tauscht die  Wärme mit dem aufsteigenden kalten Blut wieder aus. Das Blut in den Gliedmaßen wird damit  noch kühler, um den Zufluss von kaltem Blut in den Körper zu verringern. Die  Stoffwechselprozesse im Bein werden damit noch zusätzlich verringert. Dies führt zu  schlechten Wundheilungsergebnissen mit starker Bildung von wulstigem Narbengewebe. Im  Winter sollten die Beine daher ganz besonders kontrolliert werden. Auch hier kann der  richtige Beinschutz helfen. Nach einem sogenannten „Einschuss“ (einer Phlegmone mit  unheimlicher Schwellung aus einer häufig nicht auffindbaren Verletzung der Haut) verliert die  Haut gern an Elastizität, sie „leiert aus“, was dann immer wieder zu einem angelaufenen Bein  führen kann. Das zusätzliche Anlegen von Bandagen hat zwar keinen ausreichend wärmenden  Effekt, es kann aber der Haut helfen, die verlorene Spannkraft zu kompensieren. 

Bandagen bieten einen vergleichbar geringen Schutz vor Kontaktschäden, schützen aber  besser als nichts. Der Trend geht eher Richtung Stallgamaschen oder Kompressionsstrumpf,  da Bandagen beim Verrutschen oder unsachgemäßer Anbringung mehrere Probleme  verursachen können. Zum einen kann ein „Verbandagieren“ zu Entzündungen des  Verbindungsastes zwischen den beiden Hauptnerven auf der Rückseite des Beines führen.  Durch unregelmäßigen Druck können an Hautarealen narbenartige Reaktionen entstehen, die  sich meistens erst zeitversetzt in Form von weißen Stellen äußern. Außerdem können zu eng  angelegte Bandagen die Lymphgefäße verkleben, was den Abfluss der Lymphe dauerhaft  beeinflusst und immer wieder zu dicken Beinen führen kann. 

Idealerweise benötigt ein Pferd keinen Beinschutz, wenn es in der Box steht. Neigt es jedoch  zu geschwollenen Beinen, kann ein Kompressionsstrumpf durchaus ratsam sein. Bei einem  geschwollenen Bein befindet sich Flüssigkeit in der Gliedmaße. Durch das aufgeschwemmte  Gewebe muss sich auch die Haut dehnen, sodass sie bei häufigerem Auftreten nachhaltig an  Elastizität verliert und somit noch anfälliger für Schwellungen ist. Ein Kompressionsstrumpf  kann auch hier die Hautelastizität unterstützen und dem Flüssigkeitsdruck entgegenwirken.  

Beinschutz: individuelle Beurteilung und Abwägung 

Glocken und Hartschalengamaschen schützen vor äußerer Einwirkung. Stallgamaschen,  Bandagen und Kompressionsstrümpfe schützen in dieser Reihenfolge zwar absteigend vor  mechanischer Außeneinwirkung, optimieren aber aufsteigend die Versorgungs- und Entsorgungssituation von Stoffwechsel- und Entzündungsprodukten in den unteren  Gliedmaßen für eine verbesserte Heilungssituation. Dr. Jens Körner fasst schlussendlich  zusammen: „Beinschutz ist wie bei vielen Dingen im Reitsport eine individuelle und  situationsabhängige Entscheidung, bei der die Vor- und Nachteile abgewogen werden  müssen.“ 

Wenn Sie weitere Fragen zum Thema Beingesundheit haben, wenden Sie sich gern an uns.  Wir vermitteln Interviews mit den Spezialisten der Hanseklinik für Sie. Weitere Informationen zum Thema Orthopädie finden Sie auf der Website der Hanseklinik  für Pferde.

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