Nichts ist so beständig wie der Wandel: Mit neuer Struktur, über die Jahre immer weiblicher und verjüngt traf sich der Bundesjugendausschuss (BJA) der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) am zweiten Novemberwochenende in Potsdam. Das Thema Wandel zog sich durch nahezu alle Themen, mit denen sich das Jugend-Parlament der FN, bestehend aus der Bundesjugendleitung, den Landesjugendwarten und -jugendsprechern, beschäftigte. Und das Thema Wandel eröffnete auch die Sitzung. Heidi van Thiel begrüßte und stellte die neue hauptamtliche Verantwortung der Bundesjugendleitung vor: Philine Ganders-Meyer, seit Anfang des Jahres Leiterin der Abteilung Nachwuchsleistungsport am Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR).
Die neue Struktur der Bundesjugendleitung bildet das ganze Spektrum der Themen ab, mit denen sich das Gremium und die FN beschäftigen: Es reicht von Zugang zum Pferd – also Schulpferde, Reitschulen, Ausbilder für Anfänger – über allgemeine Jugendthemen wie die Gewinnung und Förderung ehrenamtlichen Nachwuchses bis hin zum Spitzensport – also die Hinführung von Kindern und Jugendlichen zum Leistungssport und deren erfolgreiche Teilnahme an internationalen Championaten. Waren diese drei Bereiche bisher in einer Abteilung Jugend abgebildet, so verteilen sich die umfangreichen Aufgaben jetzt auf drei Personen: Philine Ganders-Meyer verantwortet als Leiterin das Ressort Nachwuchsleistungssport mit fünf Disziplinkoordinatoren für Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Fahren und Voltigieren. Annika Schalück ist verantwortlich für das Ressort Jugendbildungsarbeit und der Bereich Breitensport ressortiert bei Thomas Ungruhe, Leiter der Abteilung Pferdesportentwicklung.
„Die demographische Entwicklung und veränderte Rahmenbedingungen erfordern Anpassungen im Leistungs- und Breitensport. Flächendeckende Talent-Sichtungen und gezielte Nachwuchsförderung sind notwendig“, beschrieb Heidi van Thiel die Aufgabe für den Verband. Was das in der Praxis heißt, machte Bundestrainer Peter Teeuwen deutlich. Konnte man früher aus 50 Talenten die zehn größten auswählen, so müssen die Bundestrainer nun Talente suchen: „Wir sind an der Basis nicht mehr so breit aufgestellt und das Reiten ist häufig schlechter geworden“, fasst Teeuwen die Situation zusammen. Werden nun zum Beispiel bei der Deutschen Jugendmeisterschaft Talente entdeckt, nehmen die Bundestrainer mit den Landestrainern und Reitern Kontakt auf, fahren zu den Reitern und erstellen zusammen mit deren Heimtrainern einen Trainingsplan, der das jeweilige Talent fördert und die Heimtrainer unterstützt. „Wir haben sehr gute Trainer. Um aus talentierten Kindern und Jugendlichen erfolgreiche Spitzensportler zu machen, müssen wir alle an einem Strang ziehen.“ Dazu gehört auch eine konsequente Umsetzung des Trainingsplanes inklusive Überprüfung der Fortschritte. „Wer ‘schwer’ reiten will, muss auch schwer trainieren.“ Das heißt aber nicht, viele Turniere zu reiten. „Wir wollen effektives, nicht vieles Turnierreiten. Zu viele Turniere geben nicht mehr genug Raum für planvolles Training.“
Was Peter Teeuwen und seine Bundestrainerkollegen, aber auch viele Ausbilder in den Vereinen und Betrieben erleben, erklärte Mascha Grote-Patock in ihrem Vortrag „Kinder von heute, SportlerInnen von morgen“. Die Sportpsychologin vom Olympiastützpunkt Potsdam erläuterte, warum Kinder und Jugendliche heute so sind, wie sie sind. Durch das Internet und die sozialen Medien haben sie unbegrenzten Zugang zu Wissen, können das Wissen aber nicht bewerten mangels Medienkompetenz. Ein Mitglied der sogenannten Generation Z, das sind die zwischen 1997 und 2012 geborenen Menschen, bekommt und schreibt im Durchschnitt 100 WhatsApp am Tag. „Diese Menschen müssen die ganze Zeit aus einer Vielzahl von Möglichkeiten auswählen“, sagte Mascha Grote-Patock. Das hat Folgen: „Mit steigender Nutzung von Social Media sinkt der Selbstwert.“ Zudem wächst diese Generation im Krisenmodus auf: Klimakrise, Corona, Ukraine-Krieg. Die Folge: Psychische Krankheiten haben bei Kindern und Jugendlichen massiv zugenommen. Zwar ist der Nachwuchs heute sehr ziel- und ergebnisorientiert und hat eine hohe Erwartungshaltung. Er ist aber gleichzeitig nicht mehr so gut darin, sich zu strukturieren. „Wir müssen ihnen helfen, indem wir zum Beispiel mit ihnen Handlungs- und kleine Zwischenziele festlegen. Das sorgt für kleine Erfolgserlebnisse.“ Grote-Patock beschrieb die Aufgabe der Erwachsenen als Moderation. Was willst du machen? Wie sieht der Weg dahin aus? Was brauchst du von mir, damit du das schaffst? Mit diesen Fragen hilft man den Kindern, ihren Weg zu finden. „Sie erwarten, dass ganz individuell auf sie eingegangen wird“, sagte Mascha Grote-Patock und sprach dies auch als Empfehlung aus. „Wenn die Kinder heute so sind, dann haben wir sie dazu gemacht. Deshalb müssen wir Erwachsene auf die Kinder und Jugendlichen zugehen. Sie haben keine andere Chance.“
Zum Wandel, mit dem der Pferdesport umgehen muss, gehört auch der kritische Blick, mit dem die Öffentlichkeit den Pferdesport zunehmend unter Druck setzt. „Social License“ oder die gesellschaftliche Akzeptanz beschäftigte daher auch die Teilnehmer des Bundesjugendauschusses. Eine simple Lösung fanden die rund 70 BJA-Mitglieder auch nicht. Man war sich aber einig, dass man Kritik ernst nehmen muss, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht angenehm ist. Vor allem muss man selbstkritisch sein, den Mut haben, hinzuschauen und auch problematische Situationen ansprechen. Damit das nicht eskaliert, sollte man auch Gutes loben, um einen respektvollen und wertschätzenden Umgang zu etablieren. Wer gelobt wird, ist auch aufgeschlossener für Kritik.
„Ich bin begeistert von der Atmosphäre an diesem Wochenende. Immer wieder beeindruckend finde ich das Engagement und die Ideen unseres ehrenamtlichen Nachwuchses. Wir haben tolle Bundes- und Landesjugendsprecher, die sich mit ihren Ideen und Projekten in den Verband einbringen, zum Beispiel bei den beiden Zukunftswerkstätten und bei den Helferteam-Vernetzungstreffen in diesem Jahr. Wenn ich diese zwei Tage in Potsdam Revue passieren lasse, blicke ich optimistisch in die Zukunft des Pferdesportes. Dieses Wochenende hat gezeigt: Frische Ideen gepaart mit der Erfahrung der Jugendwarte sind eine sehr gute Mischung“, bedankte Heidi van Thiel sich bei allen Beteiligten zum Abschluss der Bundesjugendausschuss-Sitzung 2023. fn-press/Bo